Was unsere Leistungskultur mit uns macht
Letztens war es in einem Gespräch unter Freunden wieder ganz deutlich. Der grösste Irrglaube vieler Eltern – egal ob neurodivers oder nicht. « Wir müssen unsere Kinder doch auf die wirkliche Welt da draussen, die harte Realität, vorbereiten. Da hilft es auch nicht, wenn sie den Namen tanzen können…. Dieser Irrglaube oder Glaubenssatz scheint tief in vielen von uns Eltern verankert zu sein. Eigentlich ja verständlich, denn wir wollen ja die bestmögliche Zukunft für unsere Kinder und wollen sie daher so realistisch auf die Zukunft und die Welt abseits vom zu Hause vorbereiten. Um ehrlich zu sein, dachte ich früher genauso. Über die Waldorfschule habe ich gelacht, denn Schule ohne Prüfungen und Noten, wie wollen wir denn unsere Kinder auf die harte Realität da draussen vorbereiten, so dachte ich. Heute denke ich da anders drüber und ich sag dir auch warum.
Was wir wissen sollten:
Es sind Kinder und keine Erwachsenen. Weder ihr Nervensystem, noch ihre Hirnentwicklung noch ihre Körperentwicklung ist fertig ausgereift. Wir bereiten sie also auf eine harte Welt da draussen vor, der sie eigentlich rein entwicklungstechnisch noch gar nicht bereit sind standzuhalten. Die Kinder die dann von Natur aus nicht so resilient sind, wie viele unserer neurodiversen Kinder, halten diesem Druck und aber auch diesen Erwartungen nicht stand.
Auch unsere sehr leistungsorientierte Kultur ist da eher hinderlich. Denn schon früh verlangen wir unseren Kindern viel ab. Tests auf Zeit, Leistungstests, Noten und Zeugnisse, ausserschulische Aktivitäten und Wettkämpfe, Taschengeld gegen Leistung etc.

Wie äussert sich dieser Glaubenssatz im alltäglichen (Familien-) Leben?
- Wir (über-) fordern unsere Kinder permanent, mit der Folge, dass wir sie zusätzlich stressen
- Wir belohnen gute Leistung und bestrafen schlechte Leistung
- Wir fokussieren auf das End-Resultat statt auf die Bemühung (den Weg dorthin)
- Wir vergleichen uns und unsere Kinder permanent mit anderen
- Wir sind dadurch meistens gedanklich in der Zukunft in nicht präsent oder «im Moment.» Oftmals hören wir unseren Kindern nicht zu und sie fühlen sich nicht verstanden
- Unsere Beziehung zu unseren Kindern leidet dadurch meist, weshalb Aggressionen und Konflikte meist zunehmen
- Deine Angst über die Zukunft deiner Kinder, die bei neurodiversen Eltern oft noch grösser ist, ist für deine Kinder spürbar und hindert sie an Ihrer eigenen Entwicklung
Wie du siehst, ist der eine Glaubenssatz (und es gibt noch viele weitere) eher hinderlich, wenn es um die gesunde Entwicklung deiner Kinder geht.
„Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern gut gemeint.“
Kurt Tucholsky
Was denn dann, fragst du dich?
Ich finde, dass wir uns von diesem Glaubenssatz gerne verabschieden können. Denn sind wir ehrlich, unsere Kinder haben noch genügend Zeit sich auf die Welt da draussen vorzubereiten. Nämlich dann, wenn sie sich den Herausforderungen des Lebens rein entwicklungstechnisch auch tatsächlich stellen können und dürfen. Denn es soll nicht heissen, dass wir unsere Kinder nun deshalb verhätscheln und nichts mehr alleine machen lassen. Ganz im Gegenteil. Sie sollen ruhig Verantwortung übernehmen. Aber alters- und vor allem entwicklungsgerecht. Ich gebe zu, dass das nicht immer ganz einfach ist. Es ist eine Gratwanderung zwischen Überforderung (zu hohe Erwartungen von mir) und Unterforderung (dann, wenn ich mich entschliesse den Job lieber selbst zu machen, statt meine Kinder miteinzubeziehen) und bei neurodiversen Kindern der Gebrauch der gängigen Entwicklungsratgeber eher abzuraten ist. Achtsamkeit und Wissen der Eltern ist daher ein sehr grosses Geschenk für diese Kinder.
Wie sieht es bei dir aus? Willst du auch, dass dein Kind auf die harte Welt da draussen vorbereitet ist? Wie gehst du mit dem gesellschaftlichen Druck und unserer Leistungskultur um? Wie äussert sich dieser Glaube in deiner Familie?
Ich freue mich über Eure Anregungen und Kommentare! Wer mehr über Entwicklung und Elternglaubenssätze lernen will, der darf sich gerne den Kurs 1×1 im Umgang mit neurodiversen Kindern ansehen oder mich kontaktieren.
Alles Liebe,
Carmen
PS: Im übrigen haben wir uns gerade nach der nächsten Waldorfschule für meine Tochter erkundigt 😉