Du musst strenger sein, dein Kind tanzt dir sonst auf dem Kopf herum….

Heute schauen wir uns wieder mal so einen elterlichen Glaubenssatz an, der besonders bei neurodiversen Kindern oft Anwendung findet, wenn Fehlverhalten in Form von Aggressivität existiert.

Dieser Erziehungsansatz ist zutiefst in unserer patriarchalischen Leistungsgesellschaft verankert. Nämlich dass wir auf Fehlverhalten jeglicher Art mit mehr Strenge reagieren müssen, da uns das Kind sonst auf dem Kopf herumtanzt. Oder anders gesagt, wir fürchten, dass wir sonst zum Spielball unseres Kindes werden und wir die Kontrolle verlieren.

Die Grundpfeiler unserer patriarchalischen Leistungsgesellschaft, basieren auf:

  • Wir glauben, dass es unsere Pflicht als Eltern ist, unsere Kinder zu erziehen. Dazu müssen sie der Familienauthorität (den Eltern) gehorsam leisten. Eltern sind der Boss.
  • Das letzte Wort haben daher immer die Eltern, da sie aufgrund Ihrer Erfahrung wissen, was das Beste für Ihr Kind ist.
  • Eltern tragen die Verantwortung für das Verhalten und die Leistung/den Beitrag ihrer Kinder in unserer Gesellschaft.
  • Oftmals verbinden wir daher Erfolg und gutes Verhalten der Kinder mit der eigenen Leistung als Eltern oder im Umkehrschluss eben, das schlechte Verhalten mit dem Versagen von uns selbst als Eltern.

Wir alle die in diesem kulturellen Glauben ausgesetzt und erzogen worden sind, haben diese Punkte mehr oder weniger verinnerlicht.

Was genau ist daran aber problematisch?

  1. Wenn du denkst, dass du der Boss deiner Kinder bist, dann hinterlässt dass bei deinen Kindern oft das Gefühl machtlos zu sein, fühlen sich nicht gehört oder nicht gesehen und vor allem nicht verstanden.
  2. Das resultiert oftmals in Rebellion der Kinder oder aber in extremer Angepasstheit und Verunsicherung der Kinder.
  3. Eltern vertrauen ihren Kindern meist nicht, dass sie zu eigenen Entscheidungen fähig sind.
  4. Auf Ungehorsam der Kinder, wird also oft mit mehr Strenge reagiert.
  5. Wir hören als Eltern nicht gut genug zu, da wir ja der Boss sind und sowieso alles besser wissen. Daher fühlen sich Kinder nicht wichtig und ernst genommen.
  6. Wer ständig Bedürfnisse hat, die zu kurz kommen oder nicht erfüllt werden (und Kinder sind vor allem in jungen Jahren von Eltern abhängig bei der Bedürfniserfüllung) fühlt sich frustriert und gibt auf/passt sich an oder rebelliert.
  7. Ein niedriger Selbstwert ist fast immer vorprogrammiert.

Wie weiss ich, dass ich diesen Glaubenssatz verinnerlicht habe?

Überprüfe, ob du folgende oder ähnliche Aussagen verwendest:

  • Jetzt rede ich und du bist leise.
  • Setz dich jetzt hin oder du gehst in dein Zimmer.
  • Wenn du noch einmal … dann….
  • Solange du bei mir wohnst (ich für dich zahle/ Verantwortung trage), tust du was ich dir sage.
  • Die Entscheidungen in diesem Haus treffe noch immer ich.
  • Du hast hier nichts zu melden.
  • Geh wieder spielen, ich habe jetzt keine Zeit für dich.

Das heisst jetzt aber nicht, dass wir alle schlechte Eltern sind. Denn Eltern zu sein ist eine Mammutaufgabe, Eltern von neurodiversen Kindern zu sein noch viel mehr. Gedanken wie “Ich habe genug”, “Ich bin frustriert/wütend” oder “Herrgott ich weiss nicht weiter» sind dabei an der Tagesordnung. Denn menschlich sind wir alle. Aber ich finde wir dürfen ruhig anfangen wieder in die Eigenverantwortung für unser Handeln und Denken kommen und das ist nun gar nicht so einfach, nach unserer eigenen jahrelangen Konditionierung.

Druck von aussen

Ich finde mich heute noch in diesen jahrelangen eingeübten Reaktionsmustern zu Hause. Wenn man ein verhaltensauffälliges Kind hat, ist der Druck nämlich nicht nur von einem selbst gross, sondern wird von aussen noch um ein Vielfaches verstärkt. Vielleicht kennst du einige dieser Aussagen:

«Carmen du musst strenger sein»

«Euer Kind tanzt euch auf dem Kopf herum, lass dir das nicht gefallen»

«Dein Kind lernt nur, dass es lauter schreien muss, wenn du jedes Mal nachgibst»

«Das kannst du ihm jetzt auf keinen Fall durchgehen lassen.»

Der Irrglaube

Heute weiss ich folgendes. Diese Glaubenssätze, dass wir Strenger auf Fehlverhalten reagieren müssen, ist der grösste Irrglaube den wir uns als Gesellschaft aufbauen konnten. Er hält uns extrem davon ab unsere Kinder verstehen zu wollen und Sie angemessen zu respektieren. Vor allem aber können wir nur selten mit Liebe und Nachsicht auf Fehlverhalten reagieren, obwohl unsere Kinder noch ein Gehirn haben, welches sich zuerst noch entwickeln muss.

Wir wollen alle das Beste

Was also nun? Wenn du dich in einem oder mehreren dieser Gedankengänge wiederfindest, dann freue dich, denn das ist der erste Schritt zu mehr Bewusstsein und damit Veränderung! Die Sache ist doch die, wir Eltern wollen immer ALLE das BESTE für unsere Kinder. Generell wollen wir doch, dass sie fähig sind, im späteren Leben gute Entscheidungen zu treffen. Dafür braucht es zwingend Kinder die sich selbst als WERTVOLL betrachten. Und dabei können wir unsere Kinder unterstützen – jeden Tag. Was darüber hinaus das BESTE für unsere Kinder ist, das entscheiden unsere Kinder dann früher oder später selbst. Je früher wir Sie das Entscheidung treffen üben lassen, desto besser gelingt es unseren Kindern später Verantwortung zu übernehmen – für sich selbst und andere.

Der Teufelskreis und wie raus kommen

Denn eines weiss ich heute. Menschen, die meinem Sohn mit diesem Glaubenssatz begegnen haben es so viel schwerer. Denn die Reaktionen und das Verhalten, die sie in meinem Kind erzeugen, sind alle nur schwer auszuhalten. Ein ekliger Teufelskreis – in dem ich lange Zeit selbst so sehr gefangen war. Ich habe den Entschluss gefasst es anders zu machen. Das fällt manchmal immer noch schwer, denn Veränderung ist ein Prozess. Dem Druck von aussen gebe ich nicht mehr länger nach, aber auch das ist nicht immer einfach. Aber die Ergebnisse sprechen für mich und meinen Ansatz, denn das Verhalten meines Kindes war noch nie so ausgeglichen und die Sätze «Mama ich liebe dich so» habe ich vorher auch nie gehört.

Willst du auch diesen Teufelskreis unterbrechen? Dann gratuliere ich dir dafür, dass du deinen Kindern mehr gibst als dir gegeben wurde und dafür, dass du deine Hand hebst, um die Reflexionsarbeit zu leisten, die dafür erforderlich ist.

Also worauf wartest du noch?

Alles Liebe,

Carmen

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